Willi Schmidt:
In die neue Welt
Ein historischer
Roman aus Oberhessen
12,00 Euro
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Sonderangebot Film und Buch im Doppelpack: 15,00 Euro über den Grundblick-Verlag
Der komplette Film bei YouTube:
https://youtu.be/1IdERXmJYgY
Ein oberhessisches Dorf vor 100 Jahren. Nach dem
Kirmes-Besuch ein paar Dörfer weiter, kommen "Burschen" und
"Weibsleute" im Morgengrauen auf dem Heimweg
an den Bahnhof im Nachbardorf. Einer hat die
Idee, den weiteren Weg nicht noch zu laufen, sondern mit der Bahn zu fahren.
Sie schieben einen leeren Waggon vom Nebengleis auf das Hauptgleis und stellen
die Weichen richtig. Bei dem Gefälle können sie auf die Lokomotive verzichten,
der Wagen läuft von selbst und bringt sie nach Hause.
Mit dieser Überlieferung beginnt der Roman um die
befreundeten Knechte Gotthard und Heinrich, sowie der Bauerntochter Luise. Das
Dorfleben ist bis hinein in persönliche Beziehungen streng reglementiert. Als sich
Gotthard, der Knecht, und Luise, die Bauerntochter, verlieben, ist das eine
Unmöglichkeit. Luises Schwester wurde schon "zwangsverheiratet" und
als diese stirbt, soll sie die neue Frau ihres Schwagers werden. Doch Luise ist
widerspenstig, hat Träume von einem anderen Leben, und Gotthard und Heinrich
haben von Auswanderern nach Amerika gehört, wo alle frei sein sollen, wo es
keine Standesunterschiede geben soll...
Auf Grundlage der beiden ersten Theaterstücke der
gleichnamigen Trilogie, die im Marburger Theater „Waggonhalle“ uraufgeführt
wurden, steht in Willi Schmidts Roman die intensive und unangepasste
Gefühlswelt der jungen Luise im Mittelpunkt, die sie aus dem Dorf weg treibt.
Aber auch in der Großstadtwelt des Hamburger Hafenmilieus, in der sie mit
Gotthard und Heinrich im zweiten Teil des Romans landet, findet ihre Sehnsucht
keine Erfüllung.
ISBN: 978-3-9802133-8-7
Textauszug:
Erster Teil:
Die Gedanken sind frei
1912
Das
erste Licht des nahenden Tages schimmerte über dem Wald am Hügel. Der
lag bewegungslos am Horizont, eine düstere Masse, endlos und scheinbar
unüberwindbar. Ein dichter Bodennebel kroch über die sommerlich
trockenen Gräser und taute sie quellwasserfrisch. Aus diesem Augenblick
der Stille huschten zwei Gestalten, als fielen sie geradewegs aus dem
Himmel herab, stolperten über die wild gewucherten Grasbüschel am Rande
der Eisenbahngleise, fanden Halt in ihren Sonntagsstiefeln auf dem
groben Split des Gleisbetts, räusperten sich und gingen dann gemächlich
weiter Richtung Bahnhof. Erste Vogelstimmen erklangen vereinzelt, doch
schnell wurde der Chor vielstimmig.
Der Bahnhof von Dreihausen
war ein schlichtes, kleines Backsteingebäude, mit einer schmalen,
langgezogenen Rampe, von der Güter direkt in die Waggons transportiert
werden konnten. Wartehalle und Schalterraum waren sehr ordentlich
gehalten, alles war sorgfältig gefegt, auch das Pflaster vor dem Eingang
zu den Gleisen hin, kein Unkraut wuchs zwischen den Fugen.
Jetzt um
diese Zeit, noch dazu sonntags, war der Bahnhof natürlich nicht besetzt,
nur einige wenige, leere Waggons standen verlassen im Morgennebel auf
dem Abstellgleis. Die beiden Gestalten wankten müde über das Pflaster,
ließen sich ächzend und stöhnend vor der Wartehalle nieder und lehnten
sich an die Backsteinwand. Von der Sommerhitze der vergangenen Tage
waren die Backsteine aufgeheizt, so dass selbst jetzt in der
morgendlichen Frische die Temperatur noch angenehm war. Es waren zwei
junge Burschen in festlicher Kirmeskleidung, die ihre Beine ausstreckten
und ihre Mützen über die Stirn zogen. Der eine war schmal, hager,
feingliedrig, und einige Strähnen seiner langen Haare quollen unter der
Mütze hervor. Das verriet ihn als Knecht, kein Bauernsohn hätte die
Haare so wild wachsen lassen dürfen. Der andere trug seine schwarzen
Haare kurz, man sah es, als er seine Mütze abnahm und sich am Kopf
kratzte. Er war kleiner, wirkte aber kräftiger und rülpste laut, als er
seine Mütze wieder aufsetzte.
"Gotthard, Gotthard..." Der Hagere
lachte leise, "war denn das Bier nicht gut oder was?" Er sprach in dem
Dialekt des Landes, bei dem zumeist die Wörter langsam und bedächtig aus
den Mündern rollen, mit schwerem, breit gezogenem R. Für den Dialekt
sprach er auffallend klar und hell, wohingegen doch gerade die
Männerstimmen gerne zum dumpfen Verschlucken der Laute neigten. Wenn die
Männer denn überhaupt etwas sagten. Auch der als Gotthard angesprochene
sagte zunächst gar nichts, sondern brummelte gedankenverloren vor sich
hin.
Gotthard schien ganz den Stimmen der Vögel zu lauschen, als höre
er noch etwas Anderes, Geheimnisvolles, nur für ihn Bestimmtes, aus
diesem Gesang heraus. Heinrich, so hieß der Hagere, roch den Staub von
schwerem Basalt, der selbst in der Feuchtigkeit des Morgengrauens vom
kleinen Steinbruch am Rande des Hügels herüberwehte. Im Geiste sah er
seinen Cousin, der mit seinen riesigen rauen Händen den Pickel in den
Basalt haut, immer und immer wieder, um ihn der Erde zu entreißen. Und
droaff, und droaff, bis die Funken sprühen, die Funken in die Luft, die
richtig heiß wird, wie beim Schmied, und droaff, und droaff, den Schweiß
vom Gesicht, von den Händen an die Hose und droaff. Mit dem Staub wehte
der Schweißgeruch dem Heinrich ins Gesicht, und er wollte das nicht
riechen, bohrte sich in der Nase und rotzte tüchtig auf das sauber
gefegte Pflaster neben der Bahnhofstür.
Gotthard starrte vor sich
hin, als zögen sich seine Augen in den Vogelgesang hinein, bis endlich
eine Stimme aus dem Gezwitscher herausklang, Menschenstimme wurde,
Mädchenstimme, das helle Lachen aus wirbelnden, geröteten Wangen beim
Tanz, bei der Kirmespolka, und die schwarzen Strähnen der Haare, wie sie
aus dem Dutt hervorlugen, wie verboten. Ja, verboten, dachte Gotthard
schwer und drehte seufzend seine Glieder.
Heinrich gähnte laut und sagte: "Am liebsten würde ich einfach hier liegen bleiben."
"Warm
genug ist es ja", ließ Gotthard murmelnd, kaum verständlich, die Worte
aus seinem Mund rollen. Noch wärmer wäre es ja woanders, dachte er
spitzbübisch hinzu und wurde wacher.
"Noch eine Stunde bis
Wittelsberg", klagte Heinrich mit erhobener Stimme, als rezitierte er
ein ähnlich klingendes Gedicht, das ihm noch aus der Schule im
Gedächtnis geblieben war.
"Ja, ja", murmelte Gotthard und starrte
jetzt auf einen leeren Waggon, der ihm direkt gegenüber auf dem
Abstellgleis stand. Wie vergessen stand er dort, abgekoppelt von anderen
Waggons, mit niedriger Umrandung, ganz und gar aus rostigem Eisen.
"Vielleicht geht es ja bequemer." Gotthard richtete sich triumphierend auf, sein Mund zog sich zu breitem Grinsen.
"Du meinst..." Heinrich zog sich die Mütze zurecht.
"Warum nicht."
Heinrich
war Feuer und Flamme. Er sprang auf. Betrachtete den Waggon aus der
Distanz, leicht geduckt, als sei er auf der Jagd und beobachte ein Tier.
"Die
Schienen führen bis Wittelsberg bergab. Man müsste nur die Bremsen
lösen, das ist alles. Darf bloß keiner mitkriegen, aber jetzt um die
Zeit, schlafen ja noch alle, die alten Säcke." Er lachte und lief
blitzschnell zu dem Waggon und packte ihn fest. Der rötliche Eisenstaub
saß sofort an seinen Fingern, und er achtete nicht darauf, dass er auch
an seiner guten Sonntagshose haftete.
Gotthard war noch sitzen geblieben: "Weiß du denn, wie das geht?"
"Klar",
für Heinrich gab es kein Halten mehr, "habe doch schon öfter zugeguckt,
bei uns am Bahnhof. Ist doch kein Problem. Komm her, steh auf, schau es
dir an. Bremse lösen und fertig. Dann läuft das Ding, und wir sind
schnell daheim."
Gotthard war jetzt bei ihm und suchte die Bremse.
Klar, an den Rädern, die langen Hebel, die würden sie schon loskriegen,
und dann auf.
Da mischten sich Stimmen und Getrappel auf dem
Schotterweg am Bahnhof in den frühmorgendlichen Vogelgesang. Junge
Leute, Männer und Frauen, kamen näher, redeten durcheinander, manche
wankten ein wenig, einige schauten fragend Richtung Gotthard und
Heinrich. Alle trugen die dörfliche Kirmestracht, die sich besonders bei
den Frauen farbenfroh von der Alltagstracht unterschied. Über dem
Motzen in leuchtenden Grün- und Rottönen lagen um Hals und Schulter
verschieden gemusterte Tücher, gehäkelt, gestrickt oder aus Seide. Für
den Oberrock, der sich auch im Sommer über mindestens einen Unterrock
legte, war ein besonders guter Stoff ausgewählt worden, besetzt mit
breiten, buntgeblümten Seidenbändern. Auch wenn sie mit den Männern
herumalberten, achteten die Frauen in der kleinen Gruppe doch
unmerklich, geradezu automatisch darauf, dass ihre kostbare
Festtagstracht keinen Schaden litt. Wobei die Tracht der Bauernmädchen
immer ein wenig schmuckvoller, ausgefeilter, farbenfroher sein musste
als die der Mägde. Wäre es umgekehrt, sofort hätte die betreffende Magd
ihre Kleidung entsprechend ändern müssen. Jetzt waren sie alle gemeinsam
auf dem Rückweg von der Kirmes, Bauernkinder, Knechte, Mägde, und
obwohl die Füße nach der langen Tanznacht in den nicht eingelaufenen
Sonntagsschuhen und dem bislang gut einstündigen Fußmarsch allmählich
schmerzten, waren alle sehr aufgekratzt. Gotthard brachte das
Stimmengewirr sehr plötzlich zum Verstummen. Er rief: "Hört mal, wir
haben eine Kutsche entdeckt. Jetzt müssen wir nicht mehr laufen!" Und
deutete auf den leeren Waggon.
"Was?" Unverständnis wurde geäußert.
"Geht doch nicht!" Skepsis kam hinzu.
"Dürfen wir nicht." Und Furcht, Verbotenes zu tun.
Da
zog sich ein junger Bursche aus weiblicher Umklammerung, schwankte
heftig, hob seinen mit prächtigen Bändern bestickten Hut und zog damit
einen großen Kreis in die Luft.
"He, schau der Ludwig", wurde gemurmelt.
"Tut immer brav, was der Vater ihm sagt."
"Soll doch auf seine Schwester aufpassen."
"Jetzt muss die Luise auf ihn aufpassen."
"Ja, die Luise, der Liebling des alten Bauern."
"Sagt sonst kaum ein Wort, der Ludwig."
"Nur die nötigsten Anweisungen."
"Und jetzt."
Tatsächlich,
Ludwig hatte nicht nur den Hut gehoben, er redete: "Klar, wir fahren.
Ahoi. Auf, auf. Heinrich, Gotthard, spannt die Kutsche an. Alle
aufsitzen."
Er lachte laut, und diesmal taten Gotthard und Heinrich, Knechte auf Ludwigs Hof, sehr gern, was ihr junger Herr befahl.
Und
Luise packte ihren Bruder bei der Hand, zog ihn mit schnellen Schritten
vorwärts zum Waggon, bevor er es sich anders überlegen konnte, lachte
hell und laut und schwang sich mit Ludwig als erste auf den Waggon. Für
einen Moment vergaß sie sogar ihren kostbaren Oberrock, der ein wenig
vom rostigen Staub abbekam. Die anderen folgten mit Gelärm. Heinrich
mahnte zur Ruhe, nicht, dass noch jemand Wind bekam von ihrer verbotenen
Fahrt.
Dann rief Gotthard: "Heinrich ist unser Steuermann. Auf, lös die Bremse! Bald schon sind wir in Wittelsberg." Und los ging es.
( ... )
Zweiter Teil:
Die lange Nacht
1913/14
Der
Blick fiel auf die weißen Kirschblüten, die wie dicke Schneeflocken auf
den kleinen Bäumen saßen. Kalt genug wäre es ja, dachte Heinrich,
obwohl es schon April ist. Er stützte den Kopf in seine Hände, und sah
über Büsche und Bäume am Ufer hinweg in das Elbwasser am Altonaer Hafen.
Die Sonne glitzerte auf dem Wasser. Je starrer Heinrich auf dieses
Glitzern sah, desto mehr schwindelte es ihn.
"Hein, zieh den Karren
mit dem Eisen zu uns rüber", hörte er seinen Vorarbeiter rufen, und er
tat sofort wie ihm befohlen. Lieber den Karren schieben und das Eisen
hoch hieven als am Ende der Schellfischbahn sitzen und Fische sortieren.
Die Aussicht, noch lange die Eisenkarren zu schieben, war immerhin
nicht schlecht. Der Bau der Hochbahn ging immer weiter, immer weiter,
und solange er ein guter Arbeiter war, musste er nicht runter zum Hafen,
zum Pinnasberg, und auf Tagelöhnerarbeit warten.
Wenn ich noch dran
denke, als ich hierher kam. Jeden Tag gab es andere Gesichter. Und im
Dorf - gab es nur das Dorf. Hatte immer gedacht, die Welt muss so groß
sein. Von wegen, die Vorarbeiter sind wie die Bauern. Bloß, dass die
auch wieder Vorarbeiter haben und so weiter. Aber dafür guckt mir hier
auch keiner auf die Finger nach der Arbeit.
Abends geht es dann immer
in die Hafenschenke. Da freu ich mich mittags schon drauf. Die neuesten
Geschichten aus der ganzen Welt. Nicht wie daheim, wo die alten Weiber
jeden Tag das Gleiche erzählen: "Mei Kopp, mei Beh, dey doa sauwieh."
Es
gibt aber auch nicht nur Gutes hier. Neulich zum Beispiel hab ich
wieder zwei auf dem Bordstein liegen sehen mit verranzten Decken zum
Schlafen. Da ist da so eine feine Kutsche vorbeigefahren und extra mit
richtig Schmackes in die Pfütze rein, um die nass zu spritzen. Dreckig
gelacht hat es vom Bock, als die weiter sind. Und ich hätte die am
liebsten gleich da runter geholt. War so schon kalt draußen.
Was sie
jetzt wohl zu Hause machen? Klar, aussäen, die Felder auflockern, was
für ein Murks, wenn die Erde nach all dem Regen so richtig nass und
schwer ist. Die Arbeit hier ist auch hart, keine Frage nicht. Aber hier
kann man sehen, wie sich alles entwickelt. Wenn das so weitergeht mit
der Hochbahn, wird die noch irgendwann bis an die Felder herangebaut,
dann kann man die Ernte gleich bis hierher an den Hafen fahren. Der
Bauer würde große Augen machen.
Heinrich lachte kurz auf, rückte
sich seine Mütze zurecht und rieb sich die Augen. "Hätten wir ja gar
nicht abhauen brauchen", murmelte er vor sich hin.

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